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»Wo ist Budach?«

»Im Turm der Fröhlichkeit.«

»Ich brauche ihn!«

»Ich brauche ihn auch, Don Rumata.«

»Hören Sie, Reba«, sagte Rumata, »reizen Sie mich nicht. Und hören Sie auf, sich zu verstellen. Sie haben doch Angst vor mir. Und Sie tun auch recht daran. Budach gehört mir, verstehen Sie? Mir!« Jetzt standen sie einander aufrecht gegenüber. Reba sah furchterregend aus. Er wurde blau, seine Lippen begannen fieberhaft zu zucken, und er murmelte, speichelversprühend, etwas vor sich hin. »Bürschcheni« zischte er. »Ich habe vor niemandem Angst! Ich kann dich zertreten wie einen Blutegel!«

Er drehte sich plötzlich um und riß einen Gobelin herunter, der hinter seinem Rücken hing. Ein breites Fenster trat zutage. »Da, schau!«

Rumata ging zum Fenster. Es führte auf den Platz vor dem Palast. Die Morgendämmerung begann schon heraufzuziehen. Der Rauch der Brände stieg vor dem grauen Himmel auf. Der Platz war übersät mit Leichen. In seiner Mitte aber sah man ein unbewegliches schwarzes Quadrat. Rumata schaute näher hin. Es waren Reiter, die in einer unglaublich exakten Reihe aufgestellt waren. Sie hatten lange schwarze Umhänge, schwarze Kapuzen, die bis über die Augen gingen, schwarze Dreieckschilder in der linken Hand und – lange Hellebarden in der rechten.

»Bitte!« sagte Don Reba mit rasselnder Stimme. Er zitterte am ganzen Körper. »Die streitbaren Kinder Gottes, unseres Herrn – die Kavallerie des Heiligen Ordens. Sie landeten heute nacht im Hafen von Arkanar zur Niederwerfung des barbarischen Aufstands der Nachtschurken des Waga Koleso, der sich mit den hochnäsigen Krämern verbündete. Der Aufstand ist niedergeschlagen. Der Heilige Orden beherrscht die Stadt und das ganze Land, das von nun an die arkanarische Provinz des Heiligen Ordens heißt …« Rumata kratzte sich unwillkürlich im Nacken. Ja, so ist das also. Das sind also die Leute, für die die unglücklichen Krämer den Weg bereitet haben. Das nenne ich eine Provokation! Don Reba grinste triumphierend. »Wir haben uns noch nicht bekanntgemacht«, fuhr er mit derselben rasselnden Stimme fort. »Erlauben Sie, mich vorzustellen: Repräsentant des Heiligen Ordens in der arkanarischen Provinz, Bischof und Kriegsmagister, Gottesdiener Reba!«

Eigentlich hätte man sich so etwas denken können, dachte Rumata. Dort wo die Grauheit ihre Triumphe feiert, kommen immer die Schwarzen zur Macht. Ach, ihr Historiker, daß ihr doch alle … Doch er faßte sich, legte die Hände auf den Rücken und wippte von den Fersen zu den Zehen.

»Ich bin jetzt müde«, sagte er geziert. »Ich will schlafen. Ich will mich mit warmem Wasser waschen und mir das Blut und den Speichel Ihrer Kopfabschneider abwaschen. Morgen … das heißt heute … sagen wir, eine Stunde nach Sonnenaufgang, komme ich in Ihre Kanzlei. Der Erlaß zur Befreiung Budachs muß bis dahin bereitliegen.«

»Es sind zwanzigtausend!« schrie Don Reba und zeigte auf den Platz unter dem Fenster. Rumata zog die Stirn in Falten. »Ein bißchen leiser, bitte«, sagte er. »Und denken Sie daran, Don Reba: Ich weiß genau, daß Sie kein Bischof sind. Ich kenne Sie durch und durch. Sie sind einfach ein schmutziger Verräter und ein ungeschickter, billiger Intrigant …« Don Reba leckte seine Lippen, er bekam glasige Augen. »Ich kenne keinen Pardon. Für jede Gemeinheit mir oder einem meiner Freunde gegenüber sind Sie mit Ihrem Kopf verantwortlich! Ich hasse Sie, bedenken Sie das! Ich muß Sie dulden, aber Sie müssen beizeiten lernen, mir aus dem Weg zu gehen. Haben Sie mich verstanden?«

Don Reba lächelte bittend und sagte rasch: »Ich wünsche mir nur eines. Ich wünsche, daß Sie in meiner Nähe sind, Don Rumata. Ich kann Sie nicht töten. Ich weiß nicht warum, aber ich kann nicht!«

»Sie haben Angst«, sagte Rumata.

»Nun, so habe ich eben Angst«, sagte Don Reba. »Vielleicht sind Sie der Teufel, vielleicht der Sohn Gottes. Wer weiß das schon? Vielleicht aber sind Sie ein Mensch aus fernen, übermächtigen Ländern: Man sagt, es gibt sie … Ich versuche nicht einmal, in den Abgrund zu blicken, der Sie verschlungen hat. Mir dreht sich der Kopf, und ich fühle, daß ich in Ketzerei verfalle. Aber ich kann Sie auch töten lassen, jederzeit. Jetzt. Morgen. Gestern hätte ich … Verstehen Sie das?«

»Das interessiert mich nicht«, sagte Rumata.

»Was denn? Was interessiert Sie eigentlich?«

»Überhaupt nichts«, antwortete Rumata. »Ich will mich einfach zerstreuen. Ich bin nicht der Teufel und auch kein Gott, ich bin Chevalier Rumata von Estorien, ein fröhlicher Edler vom Hof, belastet mit persönlichen Grillen und Vorurteilen und gewohnt, frei zu sein in jeder Hinsicht. Haben Sie sich das gemerkt?« Don Reba hatte sich wieder ganz in der Hand. Er betupfte sein verquollenes Gesicht mit einem Tuch und lächelte angenehm. »Ich schätze Ihre Hartnäckigkeit«, sagte er. »Schließlich und endlich streben ja auch Sie irgendwelchen Zielen zu. Und ich achte diese Ideale, wenn ich sie auch nicht verstehen kann. Ich bin sehr froh, daß wir uns ausgesprochen haben. Durchaus möglich, daß Sie mir irgendwann Ihre Ansichten näher zu Gehör bringen, und gar nicht ausgeschlossen, daß Sie mich dadurch zwingen, die meinen zu revidieren. Die Menschen neigen dazu, Fehler zu begehen. Möglicherweise begehe ich einen Fehler und strebe nicht jenen Zielen zu, um derentwillen es sich lohnen würde, so zäh und selbstlos zu arbeiten, wie ich es tue. Ich bin ein Mensch mit weitem Horizont, und ich kann mir sehr gut vorstellen, daß ich eines Tages mit Ihnen zusammenarbeiten werde, Schulter an Schulter …«

»Man wird ja sehen«, sagte Rumata und verließ den Raum. So ein Speichellecker! dachte er. Das wäre mir der richtige Mitarbeiter. Schulter an Schulter …

Die Stadt war vom unerträglichen Terror bis ins Mark erschüttert. Die blutrote Morgensonne erleuchtete eine düstere Szenerie von menschenleeren Straßen, rauchenden Ruinen, heruntergerissenen Fensterläden und eingeschlagenen Türen. Im Straßenstaub funkelten blutige Glassplitter. Unzählige Krähenschwärme ließen sich auf die Stadt nieder wie auf einem Kirchhof. Auf den offenen Plätzen und Wegkreuzungen trotteten zu zweit und zu dritt schwarze Reiter umher. Mit langsamen Bewegungen wälzten sie den ganzen Körper in ihren Sätteln hin und her. Auf hastig in die Erde gerammten Pflöcken hingen angekohlte Körper über verglimmenden Scheiterhaufen. Es hatte den Anschein, als sei in der Stadt nichts Lebendiges übriggeblieben – nur die ekelhaft schreienden Krähen und die geschäftigen Schlächter in Schwarz.

Gut die Hälfte des Weges legte Rumata mit geschlossenen Augen zurück. Er rang nach Luft, sein zerschundener Körper schmerzte rasend. – Sind das nun Menschen oder nicht? Was ist an ihnen noch menschlich? Die einen schlachtet man auf offener Straße ab, andere sitzen in ihren Häusern und warten gehorsam, bis sie an der Reihe sind. Und jeder denkt dabei: Wen auch immer, nur nicht mich. Kaltblütige Bestialität der Schlächter und kaltblütiger Gehorsam der Abgeschlachteten. Stupide Kaltblütigkeit, das ist das Allerschrecklichste. Starr vor Schreck stehen zehn Leute und warten gehorsam, und einer geht heran, sucht sich sein Opfer aus und schneidet ihm kaltblütig die Gurgel durch. Die Seelen dieser Menschen strotzen vor Schmutz, und jede Stunde gehorsamen Abwartens verunreinigt sie mehr und mehr. Unversehens werden eben in diesen geduckten Häusern niederträchtige Schurken geboren, Denunzianten und Mörder. Tausende Menschen, die für ihr ganzes Leben von Angst und Schrecken zerrüttet sind, werden ihre Kinder Angst und Schrecken lehren und die Kinder ihrer Kinder. – Ich kann nicht mehr, sagte Rumata immer wieder vor sich hin. Es fehlt nicht viel, und ich verliere den Verstand und werde so wie diese Leute; noch ein wenig, und ich höre endgültig auf zu verstehen, warum ich eigentlich hier bin … Ich muß Abstand gewinnen, einmal allem den Rücken kehren, ein bißchen zur Ruhe kommen … » … Am Ende des Jahres des großen Wassers – in irgendeinem Jahr nach der neuen Zeitrechnung – nahmen die zentrifugalen Prozesse im alten Imperium Überhand. Indem er sich diese Zukunft zunutze machte, gab der Heilige Orden, der seinem Wesen nach die Interessen der reaktionärsten Gruppen der feudalen Gesellschaft vertrat, die mit allen Mitteln danach strebten, den allgemeinen Verfall zum Stillstand zu bringen …« – Aber wie stanken die verglosenden Leichen an den Pfählen, wißt ihr das? Habt ihr jemals eine nackte Frau mit aufgeschlitztem Bauch gesehen, die sich im Straßenstaub wälzt? Habt ihr schon Städte gesehen, wo die Menschen schweigen und nur die Krähen schreien? Ihr, die noch ungeborenen Jungen und Mädchen, vor den Didaktoskopen der Schulen in der kommunistischen Republik Arkanar?

Er stieß mit der Brust an etwas Spitzes und Hartes. Vor ihm stand ein schwarzer Reiter. Ein langer Speer mit breiter, exakt gezähnter Klinge drückte sich gegen seine Brust. Aus den schwarzen Schlitzen seiner Kapuze blickte ihn der Reiter schweigend an. Hinter der Kapuze konnte man nur einen Mund mit dünnen Lippen und ein kleines Kinn erkennen. Ich muß jetzt irgendwas tun, dachte Rumata. Aber was? Ihn aus den Sattel werfen? Nein. Der Reiter nahm langsam seine Hand zurück, um zum Stoß auszuholen. Ach ja …! Rumata hob nachlässig die linke Hand empor und schlug den Ärmel zurück. Ein eiserner Armreif kam zum Vorschein, den man ihm beim Verlassen des Palastes ausgehändigt hatte. Der Reiter sah näher hin, zog seinen Speer zurück und gab den Weg frei. »Im Namen des Herrn«, sagte er mit fremdklingendem Akzent. »In seinem Namen«, murmelte Rumata. Er ging an einem andern Reiter vorbei, der gerade damit beschäftigt war, die kunstvoll geschnitzte Figur eines lustigen Teufelchens mit seinem Speer von einem Dachfirst herabzuschlagen. Im ersten Stock flimmerte hinter halb herabgelassenen Fensterläden ein vor Schreck entstelltes dickes Gesicht – wahrscheinlich das Gesicht eines jener Krämer, die noch vor drei Tagen mit Begeisterung hinter einen Krug Bier »Hurra, Don Reba!« gebrüllt hatten und dabei mit Genuß und Wohlgefallen dem Grrrumm, Grrrumm, Grrrumm der genagelten Stiefel gelauscht hatten. Ach, Grauheit, Grauheit … Rumata wandte sich ab. Aber was ist bei mir zu Hause? fiel ihm plötzlich ein, und er beschleunigte seinen Schritt. Das letzte Stück rannte er fast. Das Haus war unversehrt. Auf der kleinen Freitreppe saßen zwei Mönche. Sie hatten ihre Kapuzen abgelegt und reckten ihre schlechtrasierten Köpfe der Sonne entgegen. Als sie ihn erblickten, standen sie auf. »Im Namen des Herrn«, sagten sie im Chor. »In seinem Namen«, antwortete Rumata, »was habt ihr hier zu suchen?« Die Mönche verneigten sich und falteten die Hände über dem Bauch. »Sie sind gekommen, und wir gehen«, antwortete einer. Sie gingen die Stufen hinab und schlenderten ohne besondere Eile davon, die Hände kreuzweise in den Ärmeln. Rumata blickte ihnen nach und erinnerte sich, daß er schon tausendmal diese demütigen Figuren in langen schwarzen Kutten auf der Straße gesehen hatte. Doch hatten sie früher nicht die Scheiden von schweren Schwertern im Staub nachgezogen. Das haben wir verpaßt. Ach, und wie wir das verpaßt haben, dachte er. Was war das doch für eine köstliche Zerstreuung für die edlen Dons, wenn sie sich an einen einsam dahinwandelnden Mönch heranmachten und sich über seinen Kopf hinweg pikante Geschichten erzählten. Und ich Esel habe mich betrunken gestellt, bin ihnen nachgegangen, habe aus voller Kehle gelacht und mich so gefreut, daß das Reich zumindest nicht von religiösem Fanatismus erschüttert war … Aber was hätte man tun sollen? ja, was hätte man tun sollen?

»Wer da?« fragte eine klirrende Stimme. »Mach auf, Muga, ich bin’s«, sagte Rumata halblaut.

Die Riegel klirrten, die Tür öffnete sich einen Spalt, und Rumata zwängte sich ins Vorhaus. Hier war alles wie gewöhnlich, und Rumata seufzte erleichtert auf. Der alte Muga mit den silbergrauen Haaren und dem Wackelkopf nahm dem Herrn wie gewöhnlich Helm und Schwerter ab. »Was ist mit Kyra?« fragte Rumata. »Kyra ist oben«, sagte Muga. »Es geht ihr gut.«

»Ausgezeichnet«, sagte Rumata, während er sich den Gürtel abschnallte. »Und wo ist Uno? Warum kommt er mir nicht entgegen?« Muga nahm den Gürtel.

»Uno ist tot«, sagte er mit ruhiger, fester Stimme. »Er liegt im Dienerzimmer.«

Rumata schloß die Augen.

»Uno tot …«, wiederholte er. »Wer hat ihn umgebracht?« Ohne auf die Antwort zu warten, ging er ins Dienerzimmer. Unos Körper lag auf dem Tisch, er war bis zum Gürtel mit einem Laken bedeckt. Seine Hände lagen über die Brust gefaltet, die Augen hatte er weit aufgerissen, und sein Mund war zu einer Grimasse verzogen. Die Diener standen mit hängendem Kopf um den Tisch herum und hörten dem Gemurmel des Mönchs in der Ecke zu. Die Köchin schluchzte. Ohne seinen Blick von dem Knaben zu wenden, knöpfte sich Rumata den Kragen auf.

»Schweinehunde …«, sagte er. »Was sind das doch für Schweinehunde!« Er stolperte über etwas, ging ganz nahe zum Tisch, blickte in die toten Augen, lüftete das Laken ein wenig, legte es aber gleich wieder zurück.

»Ja, zu spät«, sagte er. »Zu spät … Hoffnungslos … Ach, Ihr Schweine! Wer hat ihn umgebracht? Die Mönche?« Er drehte sich zu dem Mönch hin, packte ihn am Genick, drückte ihn zu Boden und beugte sich über sein Gesicht. »Wer hat ihn umgebracht?« sagte er. »Einer von euch? Rede!«

»Es waren nicht die Mönche«, sagte hinter seinem Rücken mit ruhiger Stimme Muga. »Es waren die Grauen Soldaten …« Rumata starrte noch eine Weile in das abgemagerte Gesicht des Mönchs, in seine langsam sich erweiternden Pupillen. »Im Namen des Herrn …«, krächzte der Mönch heiser. Rumata ließ ihn los, setzte sich auf eine Bank zu Füßen des toten Knaben und begann zu weinen. Er bedeckte sein Gesicht mit den Händen und weinte und horchte auf die gelassene, sirrende Stimme Mugas. Der alte Diener erzählte, wie sie kurz nach der zweiten Nachtwache im Namen des Königs gegen das Tor klopften und wie Uno schrie, sie sollten nicht öffnen; aber sie mußten dann doch aufmachen, weil die Grauen drohten, das Haus in Brand zu stecken. Sie drangen ins Vorhaus, verprügelten und fesselten die Diener und krochen dann die Stiege hinauf. Uno war an den Türen der oberen Gemächer postiert und begann aus seiner Armbrust zu schießen. Er hatte zwei Bolzen, und er schoß auch zweimal. Der zweite Schuß ging daneben. Die Grauen warfen ihre Messer, Uno fiel. Sie schleiften ihn herunter und wollten ihn schon mit Füßen treten und mit ihren Beilen auf ihn einschlagen, als die Schwarzen Mönche im Haus erschienen. Sie erschlugen zwei Graue, entwaffneten die übrigen, banden ihnen Stricke um den Hals und zerrten sie auf die Straße. Die Stimme Mugas verstummte, aber Rumata blieb noch lange sitzen, die Ellbogen auf den Tisch zu Füßen des toten Knaben gestützt. Dann erhob er sich schwer, wischte sich mit dem Ärmel die lange verhaltenen Tränen weg, küßte den Knaben auf die kalte Stirn, setzte mit Mühe einen Fuß vor den andern und ging nach oben.

Er war halbtot vor Müdigkeit und Erschütterung. Nachdem er sich irgendwie die Stiege hinaufgeschleppt hatte, durchquerte er das Gästezimmer, erreichte mit Mühe das Bett und ließ sich stöhnend mit dem Gesicht nach unten auf ein Kissen fallen. Kyra kam herbeigeeilt. Er war so erschöpft, daß er ihr nicht einmal dabei helfen konnte, als sie ihm die verschmierten Kleider abstreifte. Sie zog ihm die Stiefel herunter, dann weinte sie über seinem verschwollenen Gesicht, befreite ihn von der zerschlissenen Uniform und seinem Metalloplasthemd und weinte dann weiter still über seinem zerschundenen Körper. Erst jetzt fühlte er, daß ihn alle Knochen schmerzten, wie nach einer Tortur auf dem Rad. Kyra wusch ihn mit einem in Essig getauchten Schwamm; er aber zischte und keuchte, ohne seine Augen zu öffnen, durch die zusammengepreßten Zähne: »Ich hätte ihn erschlagen können … Neben mir hat er gestanden … Mit meinen Fingern ihm den Hals umdrehen … Ist das vielleicht ein Leben, Kyra? Fahren wir weg von hier … Das ist doch ein Experiment mit mir und nicht mit denen.« – Er bemerkte nicht einmal, daß er russisch sprach. Kyra blickte verängstigt auf die von Tränen gläsernen Augen und küßte ihn nur immer wieder stumm auf die Wangen. Dann deckte sie ihn mit geflickten Leintüchern zu (Uno hatte ja trotz allem keine neuen gekauft) und lief nach unten, um Glühwein für ihn zu bereiten. Er aber kroch mühsam vom Bett, stöhnte vor seelischen und körperlichem Schmerz und tappte bloßfüßig ins Herrenzimmer. Dort öffnete er im Schreibtisch eine Geheimlade, wühlte in der Apotheke und nahm einige Tabletten Sporamin. Als Kyra mit dem dampfenden Kessel auf einer schweren Silberplatte zurückkam, lag er schon wieder auf dem Rücken. Er fühlte, wie der Schmerz entwich, das Getöse in seinem Kopf verflog und wie sich sein Körper mit neuer Kraft und Unternehmungslust füllte. Als er den kleinen Kessel geleert hatte, fühlte er sich schon wieder ganz wohl, rief Muga und befahl, seine Kleider vorzubereiten.

»Geh nicht, Rumata«, sagte Kyra. »Geh nicht! Bleib zu Hause!«

»Ich muß, meine Kleine!«

»Ich habe Angst. Bleib hier … Sie werden dich umbringen!«

»Was du nicht sagst. Warum sollten sie mich umbringen? Sie haben doch alle Angst vor mir.«

Sie fing wieder an zu weinen. Sie weinte still und verhalten, als befürchte sie, ihn zu verärgern. Rumata zog sie auf seine Knie und strich über ihr Haar.

»Das Schlimmste ist schon vorbei«, sagte er. »Und dann, wir wollten doch wegfahren von hier …«

Sie beruhigte sich und drückte sich an ihn. Muga stand mit wackelndem Kopf gelassen neben ihnen und hielt die Hose mit den goldenen Schellen bereit.

»Aber vorher habe ich hier noch viel zu tun«, fuhr Rumata fort. »Heute nacht wurden zahllose Menschen umgebracht. Ich muß herausfinden, wer noch lebt und wer erschlagen ist. Und ich muß jenen beistehen, die man noch töten will.«

»Und dir, wer wird dir helfen?«

»Glücklich, der an andre denkt … Und außerdem wird uns beiden von mächtigen Leuten Hilfe zuteil.«
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