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»Ja, edle Dons«, sagte er. »Don Reba ist wirklich ein sehr, sehr kluger Mensch …«

»Oho, oho!« sagte Don Sera. »Was denn! Er ist eine geistige Leuchte …!«

»Ein hervorragender Staatsmann«, sagte Don Tameo wissend und mit Gefühl.

»Jetzt scheint es sogar seltsam, wenn man sich erinnert«, fuhr Rumata freundlich lächelnd fort, »was man noch vor einem Jahr alles über ihn erzählt hat. Erinnern Sie sich, Don Tameo, wie witzig Sie sich über seine krummen Beine auszudrücken beliebten?« Don Tameo verschluckte sich beinahe und stürzte mit einem Zug ein Glas Irukanischen hinunter.

»Ich kann mich nicht erinnern«, brummte er. »Und überhaupt, was bin ich denn für ein Witzbold …«

»Aber ja, erinnern Sie sich doch«, sagte Don Sera und wiegte vorwurfsvoll den Kopf.

»Wahrhaftig!« rief Don Rumata. »Sie waren doch dabei bei diesem Gespräch, Don Sera! Ich erinnere mich noch ganz genau, Sie haben noch so gelacht über die witzigen Einfälle Don Tameos, daß Ihnen irgendwas von Ihrer Toilette weggeflogen ist.«

Don Sera lief rot und blau an und begann sich langwierig und schiefzüngig zu rechtfertigen: natürlich log er die ganze Zeit. Don Tameos Gesicht hatte sich verdüstert. Er ließ völlig die Nase hängen. Er widmete sich nun ganz dem starken Estorischen, und weil er, wie er sich ausdrückte, »am vorgestrigen Morgen begonnen, sich also bis zu dieser Stunde nicht Einhalt gebieten konnte«, so mußte man ihn, als sie aufbrachen, von beiden Seiten stützen. Der Tag war sonnig und freundlich. Das einfache Volk stand auf den Straßen herum und gaffte, ob es etwas zu gaffen gäbe, kleine Buben pfiffen und kreischten und bewarfen sich gegenseitig mit Dreck, in den Fenstern hingen hübsch zurechtgemachte Bürgerinnen mit Häubchen auf dem Kopf, kecke Dienstmädchen warfen schüchtern blitzende Blicke aus feuchten Augen, und die allgemeine Stimmung begann sich etwas zu heben. Don Sera hob mit viel Geschick einen Bauern aus dem Stand, und vor lauter Lachen traf ihn beinahe der Schlag, als er zusah, wie sich der Bauer in einer Pfütze wälzte. Don Tameo bemerkte plötzlich, daß er seinen Fes mit den Schwertern verkehrt aufgesetzt hatte, brüllte: »Halt, stehenbleiben!«, und begann sich auf der Stelle zu drehen, indem er versuchte, sich unter dem Fes umzudrehen. Don Sera sprang wieder irgend etwas von der Weste weg. Rumata faßte ein vorübereilendes Dienstmädchen an ihrem rosaroten Ohr und bat sie, Don Tameos Kopfschmuck wieder in Ordnung zu bringen. Rings um die edlen Dons sammelte sich sofort eine Menge Gaffer, die dem Mädchen eifrig gute Ratschläge erteilten, worauf sie gleich hochrot wurde, und von der Weste Don Seras sprangen nacheinander Schnallen, Knöpfe und Verschlüsse weg. Als sie endlich weitergingen, nahm sich Don Tameo ein Herz und verfaßte in aller Öffentlichkeit eine Ergänzung zu seiner Beschwerde, worin er auf die Notwendigkeit der »Fernhaltung hübscher Personen weiblichen Geschlechts von den Bauern und dem einfachen Volk« hinwies.

Und dann verstellte ihnen eine Fuhre mit Töpfen den Weg. Don Sera entblößte beide Schwerter und erklärte, daß es edlen Dons nicht gezieme, um irgendwelche Töpfe einen Umweg zu machen, und er werde sich schon einen Weg bahnen, geradewegs durch die Fuhre hindurch. Aber während er noch mit dem Zielen beschäftigt war und zu unterscheiden suchte, wo die Hauswand aufhörte und die Töpfe begannen, griff Rumata in die Speichen und drehte die Fuhre zur Seite, so daß der Weg frei wurde. Die Gaffer, die dem Geschehen mit Entzücken gefolgt waren, riefen Rumata ein dreimaliges »Hurra!« zu. Die edlen Dons wollten schon weitergehen, als sich im zweiten Stockwerk ein graublauer, dicker Kaufmannskopf herausreckte und über die Rüpelhaftigkeit der Höflinge loszulegen begann, gegen welche »unser lichter Adler, Don Reba, schon bald ein Kräutlein finden« werde. So mußte man eben noch einmal stehenbleiben und diese ganze Fuhre Töpfe in jenes Fenster transferieren. In den letzten Topf warf Rumata zwei Goldstücke mit dem Profil Pitz VI. und gab ihn dem wie versteinerten Besitzer der Fuhre.

»Wieviel haben Sie ihm gegeben?« fragte Don Tameo, als sie weitergingen.

»Nicht der Rede wert«, antwortete Rumata achselzuckend. »Zwei Goldstücke.«

»Beim Buckel des heiligen Micky!« entrang es sich Don Tameo. »Sie haben Geld! Wollen Sie, dann verkauf ich Ihnen meinen Chamacharischen Hengst!«

»Ich werde Ihnen den Hengst lieber beim Knochenspiel abgewinnen«, sagte Rumata.

»Einverstanden!« rief Don Sera und blieb stehen. »Warum spielen wir nicht Knochen?«

»Gleich hier?« fragte Rumata.

»Warum nicht?« fragte Don Sera. »Ich sehe nicht ein, warum drei edle Dons nicht Knochen spielen können, wo es ihnen gerade einfällt!«

Dann fiel Don Tameo plötzlich der Länge nach hin. Don Sera stolperte über seine Füße und kam auch zu Fall.

»Ich habe ganz vergessen«, sagte er, »wir müssen doch jetzt zum Wachdienst.«

Rumata zerrte die beiden wieder hoch und stützte beim Weitergehen jeden mit einem Arm. Vor dem riesigen düsteren Haus Don Satarinas hielt er an.

»Sollten wir nicht den alten Don aufsuchen?« sagte er. »Ich sehe überhaupt nicht ein, warum drei edle Dons nicht Don Satarina besuchen sollten …«, sagte Don Sera.

Don Tameo öffnete die Augen.

»In den Diensten des Königs«, brachte er irgendwie hervor, »müssen wir allezeit in die Zukunft blicken. D-d-d-on Satarina – das ist eine überholte Etappe. Vorwärts, edle Dons! Ich muß auf meinen Posten …«

»Vorwärts!« stimmte Rumata ein.

Don Tameo ließ seinen Kopf wieder auf die Brust fallen und wachte kein zweitesmal mehr auf. Don Sera knackte mit seinen Fingergelenken und erzählte von seinen stets erfolgreichen Liebesabenteuern. So kamen sie zum Palast. In der Wachabteilung legte Rumata Don Tameo erleichtert auf eine Bank, Don Sera aber setzte sich an den Tisch, schob mit einer nachlässigen Handbewegung ein Paket vom König unterzeichneter Ordern weg und erklärte, daß es nun endlich Zeit sei, ein Glas kalten Irukanischen zu trinken. Der Hausherr soll nur ein Fäßchen hereinrollen, schaffte er an, und diese alten Weiber (er wies in Richtung auf die wachhabenden Gardeoffiziere, die an einem anderen Tisch Karten spielten) sollen herkommen. Der Befehlshaber der Wache, ein Leutnant der Garderotte, kam. Er betrachtete Don Tameo lange Zeit und danach Don Sera. Und als sich Don Sera bei ihm erkundigte: »Warum verwelken alle Blumen in meines Horts geheimer Einsamkeit …«, da entschied er, es würde zu nichts führen, wenn er sie gleich auf ihren Posten schickte. Sollten sie inzwischen da liegenbleiben. Rumata gewann dem Leutnant einen Taler ab und unterhielt sich mit ihm über die neuen Uniformschleifen und über die Verfahren, ein Schwert zu schärfen. Er sagte dann auch, daß er Don Satarina aufsuchen wolle, der noch über die alten Schleifgeräte verfüge. Er war aber sehr bekümmert, als er erfuhr, daß der ehrenwerte Magnat nun anscheinend endgültig den Verstand verloren hatte: Vor einem Monat habe er seine Gefangenen freigelassen, seine Leibwache aufgelöst und sein reichhaltiges Arsenal an Folterwerkzeugen dem Staat übergeben. Der hundertzweijährige Greis erklärte, er beabsichtige nun, den Rest seines Lebens guten Taten zu widmen. Er werde es wahrscheinlich jetzt nicht mehr lange machen. Nachdem er sich von dem Leutnant verabschiedet hatte, verließ Rumata den Palast und schlenderte in Richtung Hafen. Er mußte den Pfützen ausweichen und über tiefe, mit grünbraunem Wasser gefüllte Radfurchen springen, er stieß ohne viele Umstände die herumstehenden Gaffer auseinander, zwinkerte den Mädchen zu, auf die sein Äußeres offenbar unerhörten Eindruck machte, verneigte sich vor den Damen, die man in Sänften vorbeitrug, grüßte mit freundlicher Miene seine Bekannten vom Hof und übersah absichtlich die Grauen Sturmowiki.

Rumata machte einen kleinen Umweg, um einen Blick in die Patriotische Schule zu werfen. Diese Schule war zwei Jahre zuvor durch die persönliche Unterstützung Don Rebas gegründet worden, und zwar zur Ausbildung von Halbwüchsigen aus dem Kleinbürger- und Kaufmannsstand für militärische und administrative Kader. Der Bau war aus Stein, ohne Säulen und Verzierungen, er hatte dicke Mauern mit engen, schießschartenähnlichen Fenstern, und links und rechts vom Haupteingang waren zwei halbrunde Türme. Wenn es notwendig war, konnte man sich dort schon eine Zeitlang verteidigen.

Über eine enge Wendeltreppe stieg Rumata in den ersten Stock, seine Sporen klirrten auf dem Steinboden. An den Klassenzimmern vorbei führte ihn sein Weg zur Kanzlei des Schulprokurators. Aus den Zimmern drang ein einheitliches Gebrumm von Stimmen, Antworten im Chor. »Was ist der König? – Eine erhabene Größe. Was sind die Minister? – Treu und ohne Widerspruch …« – »… und Gott, unser Schöpfer, sagte: Ich verfluche. – Und er verfluchte …« – »… und wenn zwei Hornstöße ertönen, in Zweiergruppen kettenförmig auseinanderlaufen, die Lanzen stoßbereit halten …« – »… wenn aber der Gefolterte das Bewußtsein verliert, ist die Folterung unverzüglich abzubrechen …«

Die Schule, dachte Rumata. Die Brutstätte der Weisheit. Die Stütze der Kultur …

Ohne zu klopfen, stieß er die niedere Tür ins Gewölbe auf und trat in die Kanzlei: sie war finster und eisig wie eine Gruft. Hinter einem ungeheuren massiven Schreibtisch, der mit Papieren und Prügelstöcken übersät war, sprang ein langer, eckiger Mann auf. In seinem kahlen Kopf saßen ein paar tiefliegende Augen, an seiner enggeschnürten grauen Uniform prangten die Epauletten des Sicherheitsministeriums. Das war der Prokurator der Patriotischen Schule, der hochgelehrte Vater Kin, ein Sadist und Mörder, gleichzeitig Mönch, der Autor des Tractates über Denuntiationen, womit er das persönliche Interesse Don Rebas erweckt hatte.

»Nun, wie steht Seine Sache?« fragte Rumata mit einem wohlgefälligen Lächeln. »Ja, diese Schriftkundigen … Die einen schlachten wir, und die andern unterrichten wir, wie?« Vater Kin lachte schiefmäulig.

»Nicht jeder Schriftkundige ist ein Feind der Krone«, sagte er. »Des Königs Feinde sind vielmehr die schriftkundigen Träumer, Zweifler und illoyalen Dissidenten! Wir aber haben uns hier zur Aufgabe gesetzt …«

»Gut, schon gut«, sagte Rumata. »Ich glaube Ihm schon. Was schreibt Er Neues? Seinen Traktat habe ich gelesen – ein nützliches Buch, aber dumm. Wie kommt Er auf solche Ideen? Das ist nicht gut, mein Lieber … Prokurator, wie …?«
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